Berggeschrei. EIN FILM FÜR GERA...
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KURZINHALT/SYNOPSIS

Die Geschichte BERGGESCHREI umzirkelt die Jahre 1987-89 aus dem Leben des jungen Wismut-Bergmanns Jörg Helmholz. Er ist zweiundzwanzig Jahre alt und mit Claudia, einer gleichaltrigen Verkäuferin, verheiratet. Vater und Mutter Helmholz arbeiten ebenso wie Claudias Eltern für den einzigen Bergbaubetrieb in der Deutschen Demokratischen Republik, der das silberweiße, unedle, und in Säuren leicht lösbare Metall URAN unter Tage förderte. Die dafür zuständige Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft wurde ,politischer Vorsicht folgend, nach dem chemischen Element WISMUT benannt, einem Metall, das im Gegensatz zu URAN keinen Spaltstoff enthält, der in industriell verursachten Kettenreaktionen weitere Kernspaltungen auslöst. In den populär-wissenschaftlichen Nachschlagewerken, die durch Verlage der DDR herausgegeben wurden, wurde die Existenz der mit militärischer Organisation geschützten URAN-Fördergebiete unter dem Label SDAG WISMUT schlichtweg verschwiegen.

Jörg Helmholz ist offenbar im Gebiet zwischen Gera und Ronneburg aufgewachsen, sämtliche Bezugspersonen seiner Kindheit und Jugend haben mittelbar oder unmittelbar mit der WISMUT zu tun. Er repräsentiert mit seinem abgezirkelten Lebenslauf genau jenen Prototypen einer scheinprivilegierten DDR-Kaste, den es eigentlich, betrachtet aus der heutigen Perspektive, nicht gegeben haben kann. Das Video-Filmprojekt BERGGESCHREI will den halbherzigen Mythos WISMUT entzaubern und gleichzeitig den Menschen hinter dem politisch verordneten Geheimnis transparent, aber verschwimmend, präsentieren.

Zu Beginn lernen wir Jörg Helmholz und seine Familie kennen, als er von den obligatorischen anderthalb Jahren NVA zurückkehrt. Im Gespräch bei Kaffee und dem unvermeidlichen Alkohol inmitten seiner Angehörigen wird deutlich, dass zwar gewisse Erwartungen an ihn bestehen, aber Ignoranz und unausgesprochenes Desinteresse bleischwer auf der gedeckten Tafel in der Neubauwohnung lasten.

Der Alltag beginnt. Jörg fährt wieder ein. Die Gespräche auf dem Weg zur Arbeit, während der Arbeit oder zuhause bleiben kurz, schwarz-weiß und dumpf. Viel Tabak, viel Schnaps. Gespräche um „gutes Geld“. Auch seiner Frau Claudia kommt er nicht näher, TV und Bier bestimmen seine Freizeit. An den Wochenenden fährt er allein in die Sächsische Schweiz zu seinem Großvater Karl. Dort trinkt er nicht. Er klettert, offenbar professionell und gut vorbereitet, aber weniger um des sportlichen Effekts wegen. Stattdessen sitzt er stundenlang schweigend auf den Gipfelsteinen und betrachtet die Landschaft; allein. Zunehmend versucht er, auch zum Ärger seiner Frau, diese Ausflüge möglichst bis zum Beginn der jeweiligen Schicht auszudehnen.

In einer Montags-Schicht, deren Einfuhr Jörg gerade noch erreicht, erlebt er die gleichermaßen urbane wie mythische Nachlässigkeit der Wismut in Sachen Sicherheit. Er wird, gemeinsam mit seinem Kollegen Harry, Opfer eines Grubenunglücks; er wird verschüttet und muss verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er genießt das Privileg der hocheffizienten medizinischen Versorgung von Bergarbeitern. Physisch gesundend, beginnt seine Psyche zu rebellieren. Klaustrophobische Anfälle, Herzrasen und Atemnot begleiten ihn. In einer Umgebung, die vom Bild des harten jungen Mannes, der für gutes Geld in den schwarzen Berg fährt, geprägt ist, fällt es Jörg schwer, über Albträume und Lebensängste zu sprechen. Sein Verhältnis zu Claudia und seiner Familie wird zunehmend komplizierter. Er wird schweigsamer. Er verbittert. Gleichzeitig interessiert er sich für Ursachen und Ablauf des Unglücks. Eine Art Krimi beginnt. Jörg beginnt Fragen zu stellen, aber er stößt auf Lügen, Schweigen, Widerstand, Unverständnis und Ignoranz. Jede Person, die er befragt, scheint egoistisch orientierte Gründe zu haben, das eine oder andere zu verschweigen. Jörg versucht, das Puzzle zusammenzusetzen, er zieht seine Frau ins Vertrauen und beschäftigt sich besonders mit dem ihm unbekannten Mann, der ihn damals im Berg rettete. In Wachträumen erscheint ihm Rolf, die Steine von Jörgs Körper räumend. In der Hoffnung, an glaubhafte Informationen zu kommen, nimmt Jörg die Angebote seiner Verwandten und Vorgesetzten wahr, sich stärker gesellschaftspolitisch zu engagieren. Er tritt in die SED und die Kampfgruppe ein. Diese Tätigkeiten helfen ihm, die Erfahrungen des Unfalls und das tägliche Einfahren zu kompensieren. Er wird akzeptiert und beginnt, seine Ängste zu verdrängen. Im Zug begegnet er Rolf, seinem vermeintlichen Retter. Er wagt es nicht, ihn auf das Geschehen anzusprechen. Erst nach einem Gespräch mit seiner Frau und der wieder hochschwappenden Erinnerung bemerkt er, das er nicht ausweichen kann und verstehen muss, was damals mit ihm geschah. Er sucht Rolf auf, sie freunden sich an. Rolf zählt eher zu den unangepassten Vertretern der Wismut und ist auf der Suche nach einer komplexen und befriedigenden Arbeit. Er spricht unbefangen und offen mit Jörg. Sie klettern zusammen im Gebirge und besuchen Jörgs Großvater Karl. Dort kommt es zu einem stummen Streit unter Männern, weil Rolf wissen möchte, unter welchen Umständen Karl seinen Arm verloren hat. Der amputierte Arm seines Großvaters wird zum Symbol für die Phantomschmerzen des körperlich gesunden Bergmanns Jörg.

Dann wird bei Karl eine Lungenkrankheit diagnostiziert; er ist dem Sterben nah, betroffen von der typischen Bergmannskrankheit, über die wohlweislich geschwiegen wird. Rolf ist nicht nach Berlin gegangen, sondern in den Westen abgehauen. Als für Jörg alles zusammenbricht, und er wenigstens beschließt, zu kündigen, zeigen die Bilder im TV die unglaublichen Bilder von Demonstrationen und Mauerfällen. Claudia und Jörg reisen ins Ruhrgebiet und begegnen einem alten Bergmann aus dem Westen. Auch er ist, jenseits aller Unterschiede, tief verletzt von der Härte seiner Arbeit.

Am Ende steht Jörg im Fahrkorb, er reist ratternd in den Berg, der von Menschenhand bezwungen und perforiert wurde. Doch kein Mensch ist mehr dort. Der Berg ist leer.


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